Der Wahlkampf der kosovarischen Parteien verlagert sich in den Westen. Das ist ein schlechtes Signal. Die Politiker des Kosovo – insbesondere die Machthaber – haben ihren Platz im Kosovo. Sie müssen vor den Bürgern erscheinen, mit ihnen kommunizieren und erklären, was sie in den letzten 4 Jahren getan haben und was sie trotz der astronomischen Versprechungen nicht erreicht haben.
Derzeit verlagert sich der Wahlkampf der politischen Parteien des Kosovo nach Zürich, Berlin, Oslo, Stuttgart, Genf und München. Die Regierungspartei startete diesen Wahlkampf, inzwischen schlossen sich auch die Oppositionsparteien unverzüglich an. Man hat den Eindruck, dass Albin Kurti Ministerpräsident des Landes Baden-Württemberg wird, Bedri Hamza Ministerpräsident Südtirols, Donika Gërvalla Leiterin des Landesbüros Bayern in Brüssel, Fatmir Limaj Infrastrukturministerin des Kantons Graubünden der Schweiz, Ramush Haradinaj, Direktor der Konzessionsvergabe für Gastronomiebetriebe im Kanton Zürich.
Während die Oppositionspolitiker ihre Reisen selbst bezahlen müssen (wahrscheinlich aus der Kasse ihrer Partei), wäre es wichtig zu wissen, ob die Dauerbesuche der Machthaber von ihren Parteien oder aus dem Staatshaushalt bezahlt werden. Sollte Letzteres passieren, wäre das ein Skandal.
Die Politiker des Kosovo – insbesondere die Machthaber – haben ihren Platz im Kosovo. Sie müssen vor den Bürgern erscheinen, mit ihnen kommunizieren und erklären, was sie in den letzten 4 Jahren getan haben und was sie trotz der astronomischen Versprechungen nicht erreicht haben. Die Kampagne sollte in Dragash und nicht in Dortmund, in Malisheva und nicht in München, in Suharekë und nicht in Sion, in Gjakova und nicht in Genf, in Vushtrri und Viti und nicht in Wien stattfinden.
Dass sich die Kampagne in den Westen und insbesondere nach Deutschland, der Schweiz und Österreich verlagert, wo die meisten Auswanderer aus dem Kosovo leben, ist kein gutes Signal. Es ist sogar ein schlechtes Zeichen. Absolute Priorität sollten die Bürger des Kosovo haben, nicht die Diaspora. Das meiste davon ist im Westen bequem. Die meisten Expats haben einen Job. Sie sind krankenversichert. Sie haben saubere Luft und sauberes Wasser. Sie sollten keine kranken Familienangehörigen zur Genesung in die Türkei schicken. Die Nahrung, die sie essen, ist gesund. Sie können wählen: ob sie in den Urlaub nach Ägypten, auf eine griechische Insel oder in den Kosovo fahren oder ein verlängertes Wochenende in New York verbringen möchten.
Es ist verständlich, dass sich Expats Sorgen um den Kosovo machen, aber nicht mehr als ihre im Kosovo lebenden Familienangehörigen. Wenn die Sorge dieser Diaspora-Menschen so groß ist, sollen sie zurückkehren und im Kosovo leben. Aus der Ferne gibt es keine Liebe. So wie sich die Politiker dort für die Bürger des Kosovo engagieren sollten, sollten auch die Auswanderer auf die Integration achten. Obwohl in den letzten zwei Jahrzehnten große Fortschritte erzielt wurden, hat die kosovarische Diaspora noch viel Arbeit vor sich. Ein großer Teil der Expatriates verrichtet weiterhin schwere körperliche Arbeit und oft gelingt es ihren Kindern nicht, sich von der Welt ihrer Eltern zu lösen. Die Zahl derer, denen es gelingt, sich in Berufen zu qualifizieren, ist nicht so groß. Positive Beispiele, die der Öffentlichkeit präsentiert werden, erzeugen ein unrealistisches Bild. Beispielsweise ist die Arbeitslosigkeit und Abhängigkeit von Sozialhilfe in der albanischen Gemeinschaft in der Schweiz recht ausgeprägt. Schliesslich wurde bekannt, dass die Behörden des Kantons Aargau eine kosovarische Familie aus der Schweiz ausgewiesen haben, nachdem sie zwischen 2008 und 2022 618 Franken Sozialhilfe bezogen hatte.
In diesen Tagen wirft die Opposition den Behörden vor, die diplomatischen Vertretungen des Kosovo für Wahlkämpfe zu nutzen. Teilweise stimmt das. Beamte fahren in Botschaftsautos zu Kundgebungen, bei denen es sich nicht um Taxidienste für die Partei handelt. Diplomaten werden in unangenehme Situationen gebracht und einige sind so naiv, dass sie bei Treffen der Behörden auf der offiziellen Website der Botschaft gewarnt werden. Es gibt aber auch Diplomaten, die integr sind und jeden Kontakt zum Parteigeschehen im Exil ablehnen. Die Behörden können sagen, was sie sagen wollen, dass es früher schlimmer war. Ja, das war es. Jemand hatte Spaß in den Luxushotels von St. Moritz, jemand ging nach Wien zum Schneider, um sich den Anzug zuschneiden zu lassen, jemand wurde in Deutschland von einem Facharzt untersucht. Gerade wegen dieser und vieler anderer Korruptionsskandale erhielten die Oppositionsparteien den Gesetzentwurf vor 4 Jahren. Doch fast eine halbe Million Bürger haben nicht für einen Wandel gestimmt, nur um immer wieder Zeuge von Exzessen zu werden.
Im Jahr 2011 besuchte der bekannte Schweizer Soziologe Thomas Held den Kosovo. Nach seiner Rückkehr verfasste er eine kurze Kolumne, in der er unter anderem betonte: „Nach vier Tagen voller Vorträge, Gespräche und Besuche entstand der Eindruck, dass Kosovo zu einem ‚failed state‘ werde.“ Selbst diejenigen, die etwas mehr wussten, waren von den Informationen vor Ort schockiert: bittere Armut, die Hälfte der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter arbeitslos, eine Wirtschaft, die von der Hilfe der internationalen Gemeinschaft und der Hilfe von im Ausland lebenden Familienangehörigen abhängig ist, eine Kultur der Korruption Das schreckt Investoren ab. Gebildete junge Menschen werden in die Politik gedrängt, weil sie so auch von der Ökonomie des Klientelismus profitieren können. Andere sind an die Gehälter humanitärer Organisationen so gewöhnt, dass ein Job in der lokalen Wirtschaft nicht in Frage kommt. Der Wunsch ist, einen Audi A6 zu haben, wie andere aus der jetzt an der Macht befindlichen Bande, wie Gesprächspartner den Staatsapparat nennen. (...) Überlastete Schulen arbeiten mit Kurzarbeit im Schichtbetrieb, Universitäten stellen eine Art Abiturzeugnis aus, es werden Scheinbetriebe für das Erlernen mancher Berufe gegründet. Aufgrund dieser Mängel drängen jedes Jahr mehr junge Menschen aus dem Kosovo auf einen Arbeitsmarkt, den es nicht gibt.“
13 Jahre sind seit der Veröffentlichung des Textes von Thomas Held vergangen. Vieles hat sich seitdem nicht geändert. Mittlerweile hat die Polarisierung ihren Höhepunkt erreicht. Die öffentliche Debatte wurde auf verbale Gewalt, Verzerrung von Fakten und eine Grausamkeit reduziert, die vielleicht nur noch mit den ersten Nachkriegsjahren zu vergleichen ist. Der damalige Lärm führte im Kosovo fast zu einem Bürgerkrieg. Wer rational denkt, hat heute im öffentlichen Raum der messerscharfen Propagandisten keinen Platz mehr.