Kulturergänzung

Schmitt: Kosovo ist eines der am stärksten gefährdeten Länder Europas

Oliver Jens Schmitt

Oliver Jens Schmitt: „Bei der Identitätsfrage gibt es Debatten über die Literatursprache, konkret über das gegische Kulturerbe und wie dieses in die Literatursprache integriert werden kann. Dann spielt die Religion eine wichtige Rolle, denn der politische Islam ist im Kosovo auf dem Vormarsch und gewinnt vor allem unter der jüngeren Generation an Anhängern …“

Die Aussagen des renommierten Schweizer Historikers Oliver Jens Schmit, der die geopolitische Lage beobachtet und auf die Identität des Kosovo reagiert, sind alarmierend. Darin heißt es, der Staat müsse sich „auf einen möglichen militärischen Konflikt“ vorbereiten. „Es wäre wichtiger, über militärische Verteidigung, Zivilschutz, Krankenhäuser, Notfallpläne zu sprechen und diese ernsthaft vorzubereiten, als über Sprache und Literatur“, sagt Schmitt in einem Interview mit KOHĪN. Ihm zufolge sei Kosovo neben der Republik Moldau eines der am stärksten gefährdeten Länder Europas. "Im Kosovo wird die Kriegsgefahr nicht ernsthafter diskutiert als in anderen europäischen Ländern." "Was jetzt nötig ist, sind keine Identitätsdebatten, sondern ernsthafte Anschlagsvorbereitungen", sagt Schmidt.

Der Schweizer Historiker Oliver Jens Schmitt beschreibt den Kosovo zum 17. Jahrestag seiner Unabhängigkeit als stabile Demokratie. Das Mitglied der Österreichischen Akademie der Wissenschaften sagt, dass Kosovo innerhalb der albanischen Kultur eine eigene Kultur habe, und zwar nicht im sprachlichen, sondern im politischen Sinne. Schmitt, der sich neben der Erforschung der Vergangenheit auch aufmerksam mit dem Balkan beschäftigt, meint, dass sich der Kosovo deutlich von Albanien unterscheide, wo das Erbe der Enverismus-Kultur fortlebe. 

In einem schriftlichen Interview für KOHA sagte er, dass der politische Islam im Kosovo Fortschritte mache und vor allem unter der jüngeren Generation an Anhängern gewinne. Ihm zufolge gehe es in diesem Fall um die Frage, welche Stellung Kosovo zwischen Europa und der islamischen Welt einnehme. 

„Aber diese Fragen müssen die Kosovaren selbst beantworten“, sagt er. Laut Schmitt scheint die Regierung von US-Präsident Donald Trump nicht länger bereit zu sein, die Sicherheit Europas zu gewährleisten.

In einem solchen Fall hätte Trumps Vorgehen, so der renommierte Wissenschaftler, dramatische Konsequenzen für die EU. Ist der Ansicht, dass die EU-Staaten militärisch nicht auf einen Konflikt mit Russland vorbereitet sind. 

„Ohne amerikanischen Schutz muss die EU mit einem russischen Angriff rechnen“, sagt er. 

In diesem Fall erwähnt er auch den Kosovo als gefährdetes Land. Darin heißt es, dass Kosovo neben der Republik Moldau zu den am stärksten gefährdeten Ländern Europas gehöre. Sie rät dem Kosovo, sich ernsthaft auf einen Angriff vorzubereiten. 

Der 1973 im schweizerischen Basel geborene Oliver Jens Schmitt, Professor für Südosteuropäische Geschichte an der Universität Wien, meint, die serbische Regierung stehe unter großem Druck und könne versuchen, einen Konflikt mit dem Kosovo anzuzetteln. Bemerkenswert ist, dass Serbien in den letzten Jahren massiv aufgerüstet wurde. Darin heißt es, die amerikanische Präsenz im Kosovo habe Serbien am Einsatz dieser Waffen gehindert, und die EU könne die USA als Verteidigungsmacht des Kosovo nicht ersetzen. 
"Deshalb wäre es für den Kosovo wichtig, rasch eine stabile Regierung zu haben, die die Gesellschaft mit allen wichtigen Parteien auf einen möglichen Konflikt vorbereitet", sagt Schmitt, der in renommierten Zentren des deutschsprachigen Raums wie Basel, Wien, Berlin und München Byzanz, Griechische Philologie, Neugriechisch und Osteuropäische Geschichte studiert hat. Angesichts der geopolitischen Lage sei es nun an der Zeit, über die Vorbereitung des Kosovo als Staat auf einen möglichen militärischen Konflikt zu sprechen, sagt Schmitt. Statt über Identitätsdebatten sei es seiner Meinung nach wichtiger, über militärische Verteidigung, Zivilschutz, Krankenhäuser und Notfallpläne zu sprechen. 
Der in Wien lebende Forscher verfügt über umfangreiche Forschungs- und Vortragserfahrung in verschiedenen europäischen Ländern. Er lehrte an den Universitäten München und Bern und war zeitweise auch Professor am Collège de France. Seit 2017 ist er Vorstand der Abteilung Geistes- und Sozialwissenschaften der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, zugleich leitet er die Forschungsabteilung für Balkanstudien am Institut für Neuzeit- und Zeitgeschichte, der höchsten wissenschaftlichen Instanz Österreichs. Seine historischen Interessen sind äußerst breit gefächert und konzentrieren sich insbesondere auf das Mittelalter, die adriatische Balkanregion und Rumänien. Schmitts Beiträge erstrecken sich auch auf die mittelalterliche albanische Welt mit Titeln wie „Venetian Arbëria“, „Kosovo“, „Skënderbeu“ und „Albaners“. Im März 2022 präsentierte er an der Akademie der Wissenschaften und Künste des Kosovo sein Werk „Der Balkan im 1870. Jahrhundert – Eine postimperiale Geschichte“ und die fünf Bände mit Veröffentlichungen mit Archivmaterial der Österreichischen Akademie der Wissenschaften zum Kosovo, die von Schmitt und Eva Anne Frantz zusammengestellt wurden. Die Bände enthalten Berichte österreichisch-ungarischer Konsuln zum Kosovo von 1914 bis XNUMX.


„Kosovo hat im politischen Sinne eine eigene Kultur“

KOHA: Wie sehen Sie die Identität des Kosovo in diesen 17 Jahren der Staatlichkeit?

Schmitt: Der Kosovo ist heute eine stabile Demokratie mit einem bereits etablierten Parteiensystem. Anders als in Serbien ist die Regierung für eine gesamte Legislaturperiode handlungsfähig und Machtwechsel sind durch demokratische Wahlen möglich. Die überwiegende Mehrheit der Bürger identifiziert sich mit ihrem Land, für dessen Unabhängigkeit die ältere Generation große Opfer gebracht hat. Obwohl die internationale Gemeinschaft Kosovo als multiethnischen Staat definiert, ist Kosovo ethnisch weitgehend homogen und kann daher als der zweitgrößte albanische Staat auf dem Balkan angesehen werden. Innerhalb der albanischen Kultur hat der Kosovo seine eigene Kultur, nicht im sprachlichen, sondern im politischen Sinne. In diesem Punkt unterscheidet sich Kosovo deutlich von Albanien, wo das Erbe der Enverismus-Kultur fortlebt, während die politische Kultur des Kosovo vom gemeinsamen Widerstand gegen die serbische Unterdrückung geprägt ist. Dies bedeutet, dass das soziale Vertrauen im Kosovo deutlich stärker ausgeprägt ist als in Albanien. dass die politische Kultur auf der Idee der Freiheit und dem Kampf um die Freiheit basiert. Man könnte also sagen, dass es in der albanischen Welt und auf dem Balkan zwei unterschiedliche politische Kulturen gibt.

KOHA: Was raten Sie dem Kosovo für die zukünftige Identitätsfindung?

Schmitt: Als externer Beobachter kann und sollte ich hierzu keine Ratschläge erteilen – ich kann lediglich die Debatten analysieren, die von den Bürgern des Kosovo selbst geführt werden – und diese Debatten sollten von ihnen selbst geführt werden. Sie müssen selbst entscheiden, wer und wie Sie sein möchten. Wenn es um die Frage der Identität geht, gibt es Debatten über die Literatursprache, insbesondere über das gegische Kulturerbe und wie dieses in die Literatursprache integriert werden kann. Zudem spielt die Religion eine wichtige Rolle, denn der politische Islam ist im Kosovo auf dem Vormarsch und gewinnt vor allem unter der jüngeren Generation an Anhängern. Damit verbunden ist die Frage nach der Positionierung des Kosovo zwischen Europa und der islamischen Welt. Aber diese Fragen müssen die Kosovaren selbst beantworten.

„Ohne amerikanischen Schutz muss die EU mit einem russischen Angriff rechnen“

KOHA: Besteht in einer Zeit, in der der Nationalismus in Europa und anderswo auf dem Vormarsch ist, die Gefahr einer Rückkehr der -ismen für den Kosovo?

Schmitt: -ismen sind weniger problematisch als radikale Veränderungen in der Geopolitik. Tatsächlich verdankt der Kosovo seine Unabhängigkeit den USA. Die Regierung von Donald Trump ist offenbar nicht länger bereit, die Sicherheit Europas zu gewährleisten. Dies hat dramatische Konsequenzen für die EU, deren Staaten militärisch nicht auf einen Konflikt mit Russland vorbereitet sind. Ohne amerikanischen Schutz muss die EU mit einem russischen Angriff rechnen. Neben der Republik Moldau ist der Kosovo eines der am stärksten gefährdeten Länder Europas. Im Kosovo wird die Kriegsgefahr nicht ernsthafter diskutiert als in anderen europäischen Ländern. Was jetzt nötig ist, sind keine Identitätsdebatten, sondern ernsthafte Vorbereitungen für einen Anschlag. Die serbische Regierung steht unter großem Druck und könnte versuchen, einen Konflikt mit dem Kosovo zu provozieren. Serbien wurde in den letzten Jahren massiv aufgerüstet. Die amerikanische Präsenz im Kosovo hat Serbien jedoch daran gehindert, diese Waffen einzusetzen. Die EU kann die USA als Verteidigungsmacht des Kosovo nicht ersetzen. Deshalb wäre es für den Kosovo wichtig, schnell eine stabile Regierung zu haben, die unter Einbeziehung aller relevanten Parteien die Gesellschaft auf einen möglichen Konflikt vorbereitet.

KOHA: Wenn Kosovo auf seine kulturelle Identität abzielt – im Sinne der „kosovarischen Kunst“, der „kosovarischen Literatur“ –, rückt dann die Möglichkeit einer möglichen Vereinigung mit Albanien in weitere Ferne, wenn man bedenkt, dass es sich hierbei um ein altes Ziel handelt, das von Zeit zu Zeit wiederbelebt wird? Welche Rolle spielt die Sprache in diesem Zusammenhang?

Schmitt: Betrachtet man die geopolitische Lage, müsste es darum gehen, den Kosovo als Staat auf einen möglichen militärischen Konflikt vorzubereiten. Es wäre wichtiger, über militärische Verteidigung, Zivilschutz, Krankenhäuser und Notfallpläne zu sprechen und diese ernsthaft vorzubereiten, als über Sprache und Literatur.

„Die Gesellschaft sollte sich auf das Gemeinsame konzentrieren“

KOHA: Mit welchem ​​Bild sollte Kosovo in die europäische Familie eintreten und wie sehen Sie diesen Weg in diesen 17 Jahren der Staatlichkeit?

Schmitt: Die Kosovaren gehören schon lange zu dieser Familie, denn die Hälfte von ihnen lebt heute in europäischen Ländern. Kosovo ist eine transterritoriale Gesellschaft, die nicht nur mit dem Gebiet der Republik Kosovo verbunden ist. Der Wahlkampf hat dies gezeigt – wichtige Ereignisse fanden in kleinen Schweizer Städten statt. Was den Staatsstatus des Kosovo betrifft, scheint mir die Antwort klar zu sein: Der Kosovo wurde nach einer NATO-Intervention gegründet, die das größte politische Verbrechen in Europa nach 1945 verhindern sollte (und vor dem russischen Angriff auf die Ukraine). Der Staat Kosovo ist das Ergebnis einer humanitären Intervention und des Widerstandswillens seiner Bevölkerung. An diesem Widerstand haben sich Vertreter aller heute großen Parteien beteiligt, darunter auch Vertreter verschiedener gesellschaftlicher Schichten. Dies wird oft vergessen: Soziale Selbstorganisation und friedlicher Widerstand, bewaffneter Widerstand und die Selbstorganisation der jungen Studentengeneration haben Kosovo im regional-balkanischen Vergleich zu einer stabilen Demokratie gemacht. Mit anderen Worten: LDK, PDK und Vetëvendosje haben ihren Beitrag geleistet, jeder auf seine Weise. Dies wird bei Auseinandersetzungen zwischen Parteien oft vergessen. Da dem Kosovo schwierige Zeiten bevorstehen, muss sich die Gesellschaft auf das Gemeinsame konzentrieren.